Archiv der Kategorie: Sozialrecht

LSG Niedersachsen: Strafgefangene haben Anspruch auf SGBII-Leistungen bei Haftunterbrechung

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat einem Häftling, der sich wegen eines längeren Krankenhaus- und Rehaaufenthaltes außerhalb der Haftanstalt aufgehalten hat, Hartz-IV-Leistungen zugesprochen. Das Jobcenter hatte dem Mann, der vor der Haft obdachlos und deshalb mittellos gewesen war, die Zahlung verweigert und sich auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II bezogen, wonach Personen im Strafvollzug vom Leistungsanspruch ausgeschlossen sind. Das Landessozialgericht hat das Jobcenter daraufhin zur Übernahme des Regelbedarfs verpflichtet und dies damit begründet, dass der Leistungsausschluss wegen Aufenthaltes in einer Vollziehungseinrichtung nicht gelte, wenn die Vollstreckung für die Dauer eines stationären Krankenhausaufenthaltes außerhalb des Strafvollzuges unterbrochen wird. Dies ist auch insofern konsequent, als ein Häftling während eines solchen Aufenthalts außerhalb der Justizvollzugsanstalt nicht als Strafgefangener behandelt wird und sich seine Haftzeit um die Dauer der Behandlung verschiebt.

(LSG Niedersachsen – Urteil vom 26.2.2019, Az. : L 11 AS 474/17).

LSG Hessen: Kosten der Unterkunft bei Hartz-IV-Bezug können ausnahmsweise auch Tilgungsraten für Eigenheim umfassen

Beim Leistungsbezug nach dem SGBII muss der Leistungsträger die Kosten der Unterkunft übernehmen, sofern diese angemessen sind. Sofern der Leistungsempfänger eine Mietwohnung bewohnt, werden deshalb die Kaltmiete und Heizkosten bis zu einem bestimmten Betrag übernommen. Bewohnt der Leistungsempfänger dagegen ein Eigenheim, für dessen Finanzierung er ein Darlehen aufgenommen hat, das er in monatlichen Raten an die Bank zurückzahlen muss, wurde bislang nur der Anteil davon, der auf die Verzinsung entfällt, als Unterkunftskosten vom Jobcenter übernommen. Da die Leistungen nach dem SGBII nicht zum Zwecke des Vermögensaufbaus gewährt werden, ist der Anteil, der auf die Tilgung entfällt hiervon nicht umfasst. Gegen diese Praxis hat nun das Landessozialgericht Hessen entschieden, das das Jobcenter des Main-Taunus-Kreises verurteilt hat, einem Leistungsbezieher für die Tilgungsraten einen Zuschuss anstelle eines Darlehens zu gewähren.

Allerdings handele es sich hierbei um einen Ausnahmefall, weil der Mann das Haus gekauft habe, lange bevor er in den Leistungsbezug geraten sei. Außerdem sei die Finanzierung weitestgehend abgeschlossen gewesen, da nur noch ein Anteil von 18,7 % der Gesamtsumme zu tilgen war und bei Nichtübernahme der Tilgungsraten der Verlust des Hauses gedroht hätte. Schließlich war der Kläger während des laufenden Verfahrens verrentet worden, so dass der Gesamtleistungsbezug auf die Tilgung nur 2,7 % betragen habe. Im vorliegenden Fall stelle sich die Übernahme der Tilgungsraten auch als angemessen dar, weil die monatlichen Gesamtleistungen für die Unterkunft einschließlich der Tilgung unter den in der Stadt als angemessen geltenden Mietkosten für einen vergleichbaren Haushalt lägen.

Da eine Revision zum BSG zugelassen wurde, steht eine letztinstanzliche Entscheidung allerdings noch aus.

(LSG Hessen, Urteil vom 29.10.2014, L 6 AS 422/12)

Landessozialgericht NRW zum Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen in Hartz IV-Prozessen

Das LSG NRW hat im Beschlusswege eine Entscheidung des Sozialgerichts Köln bestätigt, wonach Angehörige von HartzIV-Empfängern sich nicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Verwandte berufen dürfen, wenn sie Auskünfte zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen machen sollen, damit beurteilt werden kann, ob Einkommen von Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Einfluss auf die Höhe des Leistungsanspruchs des Angehörigen hat. Im vorliegenden Fall hatte der Leistungsemüpfänger behauptet, keine Angaben zu den Einkommensverhältnissen seiner Mutter und  seines Stiefvaters machen zu können. Als das Sozialgericht die Eltern daraufhin als Zeugen vernehmen wollte, beriefen diese sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Verwandte bzw. Ehegatten von Verwandten.

(LSG NRW Az.  L 19 AS 1880/14 B und Az. L 19 AS 1906/14 B)

LSG NRW: Volljährige Kinder mit eigenem Einkommen, die mit Leistungsempfängern zusammenwohnen, können zur Bedarfsdeckung herangezogen werden

Das Landessozialgericht hat mit Beschluss vom 24.2.2014 die Beschwerde einer Bedarfsgemeinschaft zurückgewiesen, die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes versucht hatten, den Leistungsträger zur Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie Übernahme höherer KdU (Kosten der Unterkunft) zu verpflichten. Die Antragsstellerin bezieht Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) und lebt mit Ihrer minderjährigen Tochter sowie zwei volljährigen Töchtern in einer Wohnung. Die beiden volljährigen Töchter verfügen über ein eigenes Einkommen, dass ihre individuellen Bedarfe übersteigt. Dieser Einkommensüberschuss wurde vom Jobcenter auf die Regelleistung der anderen Mitglieder im Haushalt angerechnet. Außerdem hat das Jobcenter die KdU (Kosten der Unterkunft) nach dem sogenannten „Kopfteilprinzip“ gleichmäßig auf alle Bewohner verteilt und der Mutter sowie der minderjährigen Tochter dadurch geringere Unterkunftskosten gezahlt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die volljährigen Töchter mit Ihrem Einkommen die Unterkunftskosten der übrigen Personen im Haushalt teilweise mittragen müssen, obwohl für sie nach dem Gesetz keine Unterhaltspflicht besteht.

Diese Vorgehensweise des Jobcenters ist nach Auffassung des Landessozialgerichts aber nicht zu beanstanden und entspräche auch der in § 9 Abs 5 SGB II normierten Vermutung, dass Hilfebedürftige von Verwandten, mit denen sie in einem Haushalt leben, Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden könne.

LSG NRW, Beschluss vom 24.2.2014 – L 12 AS 2319/13 B ER, L 12 AS 2320/13 B

Schwerbehindertenrecht – SG Berlin zum Anspruch auf Mitnahme einer Begleitperson

Das Sozialgericht Berlin hat sich zu den Voraussetzungen für die Eintragung des Merkzeichens „B“ in den Schwerbehindertenausweis geräußert und dazu ausgeführt, dass dieses Merkzeichen nur anerkannt werden kann, wenn beim Antragsteller entweder das Merkzeichen „G“ (Gehbehindert = erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr) oder „H“ (hilflose Person) oder „Gl“(Gehörlos) anzuerkennen ist. Dieses ergibt sich nach Ansicht des Gerichts aus dem Zusammenspiel der Regelungen der §§ 145 und 146 SGB IX. Die Vergabe des Merkzeichens „B“ ist in § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX geregelt, wonach Anspruch auf die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen i. S. d. § 145 Abs. 1 SGB IX besteht. § 145 Abs. 1 SGB IX nennt aber nur schwerbehinderte Personen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind.

Bei der Klägerin im Fall, der dem SG Berlin vorlag, lagen psychische Angst- und Neurosezustände vor, die die Anerkennung eines dieser Merkzeichen nicht begründeten, so dass damit auch die Anerkennung des Merkzeichens „B“ ausgeschlossen sei.

SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 8.1.2014, Az.  S 192 SB 1306/12

SG Koblenz: Jobcenter ist zur Begleichung von Stromrückständen bei unverantwortlichem Verbrauchsverhalten nicht verpflichtet

Das Sozialgericht Koblenz hat entschieden, dass das Jobcenter bei einer Sperrung des Stromanschlusses wegen Zahlungsrückständen nicht in jedem Fall verpflichtet ist, Leistungsbeziehern ein Darlehen zu gewähren, damit die Strombelieferung wieder aufgenommen wird. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte eine Famile, der bereits im Vorfeld wegen Ihres übermäßigen Stromverbrauchs mehrfach die Stromversorgung durch den Energieversorger gekappt worden war, versucht, das Jobcenter zur Gewährung eines weiteren Darlehens zu verpflichten. Das Jobcenter hatte die Gewährung eines weiteren Darlehens mit Hinweis auf das unverantwortliche Verbrauchsverhalten der Familie abgelehnt. Die Rechtmäßigkeit wurde nun vom Sozialgericht bestätigt: Da die Familie durch Abstellen des Stroms nicht existenziell gefährdet sei und die wiederholte Stromsperre durch ihren übermäßigen Stromverbrauch selbst verursacht habe, könne sie die Folgen Ihres Verhaltens nicht erneut auf die Allgemeinheit überwälzen. Das gelte auch, soweit die minderjährigen Kinder von der Stromsperre betroffen seien, denn in erster Linie seien die Eltern und nicht das Jobcenter für die Kinder verantwortlich.

SG Koblenz, Beschluss vom 5.9.2013, S14 AS 724/13 ER

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Erwerbsminderungsrente bei zu erwartender Arbeitsunfähigkeit

Das LSG Berlin-Brandenburg hat in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung klargestellt, dass eine Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI auch dann angenommen werden kann, wenn bei einem Arbeitnehmer so oft Arbeitsunfähigkeit auftritt, dass seine während eines Jahres zu erbringende Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entspricht, die ein „vernünftig und billig denkender Arbeitgeber“ zu stellen berechtigt ist. Es gibt daher keine feste Grenze (z.B. 6 Monate im Jahr), ab der grundsätzlich erst von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ausgegangen werden kann, sondern es kommt auf die Umstände des EInzelfalls an:

Wenn die Einstellung eines Versicherten wegen zu erwartender AU-Zeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist, kann dies dazu führen, dass eine Erwerbsminderung anzuerkennen ist. Nicht ausreichend ist allerdings, dass sich die zu erwartenden Arbeitsunfähigeitszeiten in einem Bereich bewegen, wie er für die jeweilige Altersgruppe typischerweise erwartet werden kann. Aus diesem Grund scheiterte auch der Kläger.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.6.2013, – L 27 R 332/09

Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel für den Kreis Minden-Lübbecke

Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts Kassel mussten im Jahr 2012 für Hartz4-Bezieher in NRW größere Wohnflächen und damit auch eine höhere Miete anerkannt werden. Auf Grundlage der nunmehr angemessenen Wohnfläche (50 qm statt 45 qm für Alleinstehende sowie 15 qm für jedes weitere Mitglied der Bedarfsgemeinschaft) ist zum Anfang Oktober 2012 ein neuer grundsicherungsrelevanter Mietspiegel veröffentlicht worden.

Als Richtwert für einen 1-Personen Haushalt in den Städten Minden, Lübbecke und Bad Oeynhausen ist nun ein Betrag von 326,00 Euro festgelegt worden. Im Wohnungsmarkt 2 (Espelkamp, Hüllhorst, Preußisch Oldendorf, Rahden) liegt der Richtwert bei 316,00 Euro und im Wohnungsmarkt 3 (Hille, Petershagen, Porta Westfalica, Stemwede) bei 308,00 Euro. Wenn Sie Fragen zur Berechnung der Kosten der Unterkunft oder anderer Leistungen durch das Jobcenter haben, sprechen Sie mich gerne an.