OVG Münster: Jugendhilfeträger erfüllt Betreuungsanspruch für Unter 3jährige auch durch Angebot eines Platzes bei Tagesmutter

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat festgestellt, dass der seit dem 1.8.2013 gesetzlich verankerte Anspruch auf frühkündliche Förderung nach § 24 II SGB VIII auch dadurch erfüllt werden kann, dass der Jugenshilfeträger einen Platz bei einer Tagesmutter zur Verfügung stellt. Das VG Köln hatte in der Vorinstanz dem Antragsteller rechtgegeben, der beantragt hatte, den Jugendhilfeträger zu verpflichten, einen Betreuungsplatz in einer städtischen Kindertageseinrichtung, im Umkreis von maximal 5 km zum Wohnort des Antragstellers zur Verfügung zu stellen. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes loässt sich dem Gesetz eine Differenzierung zwischen der frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung und der frühkindlichen Förderung in der Kindertagespflege nicht entnehmen. Der Jugendhilfeträger kann seine Verpflichtung daher den gegen ihn gerichteten Anspruch mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in einer der beiden Einrichtungen erfüllen. Dem stehe auch nicht das Wunsch- und Wahlrecht der Erziehungsberechtigten nach § 5 Abs. 1 S.1 SGB VIII entgegen, da dieses Recht dann an seine Grenzen stoße, wenn in der gewünschten Betreuungsform keine Plätze (mehr) vorhanden sein. Das Wahlrecht verschafft keinen Anspruch auf die Schaffung neuer Dienste und Einrichtungen. Nur wenn der Anspruch auf frühkindliche Förderung weder in der einen noch der anderen Form erfüllt werden könne, kämen Ersatzansprüche der Anspruchsberechtigten in Betracht.

OVG Münster, Beschluss vom 14.8.2013, 12 B 793/13

OLG Celle: Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Unverzüglichkeit bei Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG einer nicht anwaltlich vertretener Partei

Das OLG Celle hat meinem Mandanten wegen der überlangen Dauer eines seit dem Jahr 1997 anhängigen Gerichtsverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 8.700,00 Euro zugesprochen. Grundlage des Entschädigungsanspruchs ist die mit dem Gesetz vom 24. November 2011 eingeführte Vorschrift des § 198 GVG. Der Kläger hatte die bei Altverfahren „unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes“ zu erhebende Verzögerungsrüge, die Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs ist, allerdings erst im August 2012 erhoben. In anderen Entscheidungen scheiterte der Entschädigungsanspruch häufig daran, dass die vom Kläger erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr als „unverzüglich“ gewertet wurde. Im vorliegenden Fall hielt das Gericht dem Kläger allerdings zugute, dass er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes nicht anwaltlich vertreten war und deshalb einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlag. Der Auffassung des beklagten Landes, dass spätestens zum Jahreswechsel 2011/2012 in allgemein zugänglichen Medien über das Gesetz zur Entschädigung bei überlangen Verfahren berichtet wurde, dass auch einem Durchschnittsbürger das Erfordernis einer unverzüglich zu erhebenden Verzögerungsrüge bewusst sein musste, folgte der Senat nicht. Eine engere Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Unverzüglichkeit“ wäre auch mit der verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift des § 198 GVG und dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren.

 

 

OLG Celle, Urteil vom 20.11.2013, Az. 23 SchH 3/13

SG Koblenz: Jobcenter ist zur Begleichung von Stromrückständen bei unverantwortlichem Verbrauchsverhalten nicht verpflichtet

Das Sozialgericht Koblenz hat entschieden, dass das Jobcenter bei einer Sperrung des Stromanschlusses wegen Zahlungsrückständen nicht in jedem Fall verpflichtet ist, Leistungsbeziehern ein Darlehen zu gewähren, damit die Strombelieferung wieder aufgenommen wird. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte eine Famile, der bereits im Vorfeld wegen Ihres übermäßigen Stromverbrauchs mehrfach die Stromversorgung durch den Energieversorger gekappt worden war, versucht, das Jobcenter zur Gewährung eines weiteren Darlehens zu verpflichten. Das Jobcenter hatte die Gewährung eines weiteren Darlehens mit Hinweis auf das unverantwortliche Verbrauchsverhalten der Familie abgelehnt. Die Rechtmäßigkeit wurde nun vom Sozialgericht bestätigt: Da die Familie durch Abstellen des Stroms nicht existenziell gefährdet sei und die wiederholte Stromsperre durch ihren übermäßigen Stromverbrauch selbst verursacht habe, könne sie die Folgen Ihres Verhaltens nicht erneut auf die Allgemeinheit überwälzen. Das gelte auch, soweit die minderjährigen Kinder von der Stromsperre betroffen seien, denn in erster Linie seien die Eltern und nicht das Jobcenter für die Kinder verantwortlich.

SG Koblenz, Beschluss vom 5.9.2013, S14 AS 724/13 ER

OLG Hamm: 2 Entscheidungen zur Mithaftung, wenns beim Überholen einer Fahrzeugkolonne kracht

In 2 jüngeren Entscheidungen (Urteil vom 09.07.2013 zum Az.: 9 U 191/12 und Urteil vom 23.04.2013 zum Az.: 9 U 12/13) hat sich das OLG Hamm zur Mithaftung des „Überholers“ einer Fahrzeugkolonne Stellung genommen:

Im ersten Verfahren ging es um die Mithaftung eines Mokick-Fahrers, der eine aus 3 Fahrzeugen bestehende Kolonne überholte und dabei mit dem ersten Fahrzeug, das nach links in eine Grundstücksauffahrt einbiegen wollte, zusammenstieß. Das OLG Hamm erkannte eine 75%ige Mitverschuldensquote des „Überholers“, da ihn ein erhebliches Verschulden treffe, weil er verbotswidrig bei für ihn unklarer Verkehrslage überholt habe. Bei der abbiegenden PKW-Fahrerin sei dagegen nur die Betriebsgefahr des Fahrzeuges mit einer 25%-Quote zu berücksichtigen.

Im zweiten Verfahren hatte der Beklagte mit seinem Motorrad eine aus mehreren Fahrzeugen bestehende Kolonne überholt. Dabei kollidierte er mit einem unter Ausnutzung einer Kolonnenlücke unvorsichtig aus einer wartepflichtigen Querstraße nach links abbiegenden Pkw. Trotz der Vorfahrtsituation erkannte das OLG Hamm auf eine Mithaftungsquote von 1/3 zu Lasten des „Überholers“, weil dieser das allgemeine Rücksichtnahmegebot verletzt habe. Nach Ansicht des Gerichts müsse jemand, der bei dichtem Verkehr an einer zum Stehen gekommenen Fahrzeugkolonne vorbeifahre, bei erkennbaren Verkehrslücken in Höhe von Kreuzungen und Einmündungen seine Fahrweise trotz Vorfahrt so einrichten, dass er auch vor unvorsichtig aus der Lücke herausfahrenden Fahrzeugen rechtzeitig anhalten kann.

OLG Brandenburg: Anforderungen an die Feststellung einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Brandenburg hat die Verurteilung eines Mannes wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) aufgehoben, da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Vorsatz des Täters für eine entsprechende Verurteilung nicht ausreichten: So wurden beim 62-jährige Fahrer eines Leichtkraftrades im Rahmen einer Kontrolle zwar erhebliche Ausfallerscheinungen und eine Blutalkohol-Konzentration (BAK) von 1,51 Promille festgestellt worden. Eine hohe BAK-Konzentration allein reiche hierfür grundsätzlich nicht aus, vielmehr müssten weitere auf einen Vorsatz hindeutende Umstände hinzutreten. Da das kritische Bewusstsein und die Fähigkeit zur realistischen Selbsteinschätzung infolge der Alkoholeinwirkung abnehmen, während gleichzeitig ds subjektive Leistungsgefühl des Alkoholisierten häufig gesteigert werde, schätzten Personen Ihre Fahrtüchtigkeit häufig falsch ein. Bei seiner Würdigung habe das Amtsgericht zu einseitig auf die motorischen Unsicherheiten des Täters abgestellt, die erst beim Absteigen vom Motorrad festgestellt wurden.Inwieweit diese Erkenntnisse auch Rückschlüsse auf den für das Bewusstsein von Fahruntüchtigkeit maßgeblichen Zeitpunkt der vorangegangenen Fahrt zuließen, habe das Amtsgericht nicht erwogen, so dass eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung nicht haltbar sei.

OLG Brandenburg – Beschluss vom 5.2.2013, Az. (2) 53 Ss 1/13 (4/13)

BGH: Schwarzarbeit lässt Gewährleistungsansprüche entfallen

Der BGH hat auf Grundlage des seit 2004 geltenden Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit entschieden, dass einer Frau, die Ihre Einfahrt von „Schwarzarbeitern“ hatte pflastern lassen, keine Gewährleistungsansprüche wegen mangelhafter Ausführung der Arbeiten zustehen. Dem Rechtsstreit lag ein Vertrag zu Greunde, in dem die Parteien vereinbart haben, dass der Werklohn in bar ohne Rechnung und ohne Abführung von Umsatzsteuer gezahlt werden soll.

Der BGH hat jetzt entschieden, dass der zwischen den Parteien geschlossene Werkvertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB nichtig ist.

Begründung:

§1 II des SchwarzArbG enthalte das Verbot zum Abschluss eines Werkvertrages, wenn darin vorgesehen sei, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt.

Zumindest in Fällen, in denen der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt führt dieses Verbot zur Nichtigkeit des Vertrages.(BGH – Az. VII ZR 6/13)

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Erwerbsminderungsrente bei zu erwartender Arbeitsunfähigkeit

Das LSG Berlin-Brandenburg hat in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung klargestellt, dass eine Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI auch dann angenommen werden kann, wenn bei einem Arbeitnehmer so oft Arbeitsunfähigkeit auftritt, dass seine während eines Jahres zu erbringende Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entspricht, die ein „vernünftig und billig denkender Arbeitgeber“ zu stellen berechtigt ist. Es gibt daher keine feste Grenze (z.B. 6 Monate im Jahr), ab der grundsätzlich erst von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ausgegangen werden kann, sondern es kommt auf die Umstände des EInzelfalls an:

Wenn die Einstellung eines Versicherten wegen zu erwartender AU-Zeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist, kann dies dazu führen, dass eine Erwerbsminderung anzuerkennen ist. Nicht ausreichend ist allerdings, dass sich die zu erwartenden Arbeitsunfähigeitszeiten in einem Bereich bewegen, wie er für die jeweilige Altersgruppe typischerweise erwartet werden kann. Aus diesem Grund scheiterte auch der Kläger.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.6.2013, – L 27 R 332/09

VG Minden: Auch bei Oldtimern besteht Eurokennzeichen-Pflicht

Das VG Minden hat mit 2 Urteilen am 8.6.2013 entschieden, dass Oldtimer ebenso wie alle anderen Fahrzeuge seit 1997 mit einem Eurokennzeichen uszustatten sind. Geklagt hatten 2 Oldtimerbesitzer aus dem Kreis Paderborn, denen bei der Erteilung von Kennzeichen in den Jahren 2007 und 2011 aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, Kennzeichen ohne Eurofeld zugeteilt bekommen hatten. Der Kreis hatte die Einziehung dieser Kennzeichen angeordnet, um diese auf seine Kosten gegen entsprechende Kennzeichen mit Eurofeld auzutauschen. Hiergegen richteten sich die Fahrzugführer, die die Auffassung vertraten, dass die Eurokennzeichen-Pflicht dem historischen Erscheinungsbild der Fahrzeuge widerspräche. Das VG ist dieser Auffassung mit der Begründung entgegengetreten, dass das Aussehen vonb Kennzeichen im öffentlichen Straßenverkehr gesetzlich vorgeschrieben sei und dass das ästhetische Empfinden der Fahrzeughalter demgegenüber zurücktreten müsse. Anderenfalls müssten je nach Alter der Fahrzeuge verschiedenste – heute gar nicht mehr gültige – historischen Kennzeichen vergeben werden.

(Az.: 2 K 2930/12 und 2 K 2931/12)

BGH: Bei Estricharbeiten in älterem Wohngebäude besteht kein Anspruch auf höheren Trittschallschutz

Der BGH hat mit Urteil vom 5.6.2013 (Az. VIII ZR 287/12) seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach bei Modernisierungs- und Umbauarbeiten an Gebäuden, die nicht den Umfang einer völligen Umgestaltung des Gebäudes erreichen, für die Beurteilung, ob ein Mangel vorliegt, die schallschutztechnischen Anforderungen zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes maßgeblich seien. Geklagt hatte der Mieter einer Wohnung in einem vor dem 2. Weltkrieg errichteten Gebäude, der aufgrund der nach seiner Meinung unzureichenden Schallisolierung eine Mietminderung von 20 % durchsetzen wollte.  Der Vermieter hatte im Jahr 2003 die über der Wohnung des Klägers befindliche Wohnung renovieren lassen und den Estrich teilweise erneuert. Im Rest der Wohnung wurde der alte Bodenbelag abgeschliffen, verspachtelt und neuer Fußboden darüber verlegt. Der BGH verneinte das Vorliegen eines Mangels, da der Tritt- und Luftschallschutz den zur Zeit der Errichtung des Gebäudes geltenden DIN-Normen entsprochen habe. Auch der Umstand, dass der Vermieter den Estrich abgeschliffen, verspachtelt und auf etwa 12% der Gesamtfläche entferrnt und durch neuen ersetzt habe, rechtfertige nicht die Anwendung der zur Zeit der Durchführung der Arbeiten geltenden DIN-Normen.

OLG Hamm zu den Verkehrssicherungspflichten eines Baumarktbetreibers:

Das Oberlandesgericht Hamm hat der Klage einer Frau stattgegeben, die die Betreiberin eines Baumarkts verklagt hatte, nachdem sie im Kassenbereich auf einer feuchten Stelle ausgerutscht war und sich erheblich verletzt hatte. Der Kundin treffe zwar eine Mitverschulden, so dass ein Schadensersatzanspruch um 1/3 zur kürzen sei; die überwiegende Verantwortung sieht das Gericht aber bei der Betreiberin des Baumarktes, die ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Bei Supermärkten seien in Bereichen, bei denen ein erhöhtes Verletzungsrisiko bestehe, wie zum Beispiel in der Obst- und Gemüseabteilung, wo häufiger Waren zu Boden fallen und Kunden auf ihnen ausrutschen könnten, Kontrollen in Zeiträumen von 15 bis 20 Minuten zu fordern. Von der Beklagten als Betreiberin eines Selbstbedienungsbaumarktes seien dagegen bei einem durchschnittlich starken Kundenaufkommen Kontrollen im Abstand von 30 Minuten zu fordern. Die etwas großzügigere Bemessung der Zeiträume wird damit begründet, dass im Baumarkt überwiegend verpackte Produkte angeboten würden. Da die Beklagte im entschiedenen Fall aber auch unverpackte Pflanzen anbot, bei denen die Gefahr bestehe, dass sie Teile verlieren oder aus ihrer bewässerten Erde Wasser austrete, seien auch hier regelmäßige Kontrollen zu fordern, auch wenn die zeitlichen Abstände etwas größer ausfallen dürften.

OLG Hamm, 15.3.2013 – Az.:9 U 187/12